Samsas Traum: 20 Schritte Freiheit (Teil 1)

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Samsas Traum

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Samsas Traum: 20 Schritte Freiheit (Teil 1)

Die surrenden Neonlampen erloschen und lieen uns mit uns selbst und der Dmmerung alleine.
Durch die sich hoch unter der Decke befindenden, vergitterten und mit Fliegendreck verschmutzen Fenster konnte man sehen, wie der Himmel strahlte.
Vermutlich befand sich die Anstalt unweit von einer Grostadt entfernt, deren Lichter nachts die Atmosphre aufhellten, und dadurch die ber uns hinweg ziehenden Wolken in ein gespenstisch loderndes Flammenmeer verwandelten. Je nach Wetterlage schien das Licht manchmal orange, manchmal rot, oder auch blulich auf uns herab. Farbliche Vernderungen des Firmaments waren die einzige Abwechslung, die uns der Blick aus dem Fenster bot.
In besonders kalten Nchten wirkte der Himmel wie von Pech durchdrngt.
Dann sahen die funkelnden Sterne, deren Leuchten von den trben Scheiben vor unseren Augen abgebremst wurde, wie Nadelstiche in einem schwarzen Tuch aus, und wir ahnten, dass bald wieder etwas Schlimmes passieren wrde.
In der Zelle neben mir begann Lazarus seinen allabendlichen Monolog. Wisst ihr was ich heute im Radio gehrt habe? Ihr habt es doch auch alle gehrt, oder?, posaunte er erbost in die Stille hinaus und warf sich dabei wtend gegen die Gitterstbe. Der dadurch entstehende Lrm hallte tausendfach von den nackten Wnden der Halle wieder. Dieses lcherliche Philosophenpack hat in einer Sondersendung darber debattiert, wie der Begriff Menschenwrde eigentlich zu definieren sei.
Die Wut, die das Wort Menschenwrde in ihm auflodern lies, war nicht zu berhren.
Er wuchtete seinen Krper gegen die Zellenwnde und stie einen monstrsen Schrei nach dem anderen aus. Unter meinen Fen bebte der Boden. Lazarus war viel grer und krftiger als die meisten Insassen; seine Ausbrche verngstigten uns, und niemand wagte es, ihm zu widersprechen oder seinen Zorn auf sich zu ziehen. Die Wrter traten ihm nach einigen gewaltsamen Zwischenfllen nur noch mit Schlagstcken bewaffnet gegenber.
Wir hrten ihm schweigend zu.
Einer dieser Kerle hat mit einer berheblichkeit, bei der mir schlecht geworden ist, behauptet, dass es den Menschen hauptschlich auszeichnet, sich ber Jahrhunderte hinweg seine Wrde und Rechte durch blutige Schlachten erkmpft zu haben, und dass ihn dieser Kampf evolutionr von zum Beispiel den Affen unterscheidet.
So etwas wie Affenwrde gbe es wahrscheinlich nicht, hat der Herr Philosoph gesagt. Das muss man sich einmal vorstellen, Affenwrde! Wer kann eigentlich beweisen, dass sich die Bienen vor zweihundert Jahren in einem schrecklichen Krieg nicht auch ihre Wrde und Rechte erkmpft htten? Puschkin, was meinst du?.
Die aufgeworfene Frage war fr mich von rhetorischer Natur, deshalb gab ich keine Antwort.
Als ob die Menschheit nicht schon verrckt genug wre, murmelte Lazarus in sich hinein, bevor ihn wieder die Wut packte.
Er nahm Anlauf und sprang ein weiteres Mal gegen die Gitter seiner Zelle.
Wieso sperrt man mich ein?! Wenn man sich seine Wrde erst erkmpfen muss, dann erkmpf ich sie mir eben!, brllte er verzweifelt.
Es war Nacht fr Nacht das selbe schmerzliche Aufbegehren, das nach gut einer Stunde mit dem entkrfteten Zusammenbruch meines Zellennachbarn endete.
Ich kann mich nicht daran erinnern, die Anstalt jemals von auen gesehen zu haben.
Hier gab es keine Wochentage, keine Monate, und keine Jahreszeiten.
Den Ablauf unseres Lebens bestimmten das elektrische Licht und die Aufseher, die wie ferngesteuerte Maschinen durch die Gnge schlichen, die Mahlzeiten brachten, und manchmal wahrlos ihre Aggressionen an uns auslieen.
Viele von uns begriffen wahrscheinlich nicht einmal, dass sie berhaupt ein Leben in Gefangenschaft fristeten, da sie nichts anderes kannten.
Meine Mutter, die noch in der alten Welt geboren, dann aber hierher gebracht worden war, hat mir vor ihrem Tod Geschichten ber ein Leben jenseits der uns umgebenden Gefngnismauern erzhlt.
Anfangs soll sie sehr schn gewesen sein; irgendwann habe man aber so viele Unterschiede zwischen arm und reich, dick und dnn, gro und klein gemacht, dass alles schwache und vermeintlich hssliche einfach nicht mehr zu rechtfertigen gewesen wre.
Man hat deshalb damit beginnen mssen, man hat deshalb damit begonnen, es zu verfolgen, es einzusperren, und umzubringen.
Das Beste, was dir heutzutage noch passieren kann, ist, dass du als Baum geboren wirst, und an einem Ort wchst, wo dich auer den Vgeln niemand finden kann, hat meine Mutter immer wieder gesagt.
Durch die Erzhlungen der lteren Insassen, hatte sich mit der Zeit die Mhr von einem von den einen als von den anderen als Paradies glorifizierten, von den anderen als Hlle verdammten Ort verbreitet, mit dem jeder von uns in der Zukunft einmal konfrontiert werden wrde.
Legenden berichteten von Soldaten und Freiheitskmpfern, die eines Tages alle Schranken berwinden und uns retten wrden.
Es war von freien Menschen auf der anderen Seite der Mauern die Rede, die mutig genug waren, ihr Leben fr all die zu Unrecht eingesperrten Gefangenen der Welt aufs Spiel zu setzen.
Der Zelleninsasse links neben mir wusste diesbezglich die interessanteste, wenn auch nibulseste Geschichte zu erzhlen.
Sein Name war Lao-Tse, und der charakterliche Unterschied zu Lazarus htte nicht grer sein knnen. Er war weitaus ruhiger und bedachter, als der aufbrausende Koloss zu meiner rechten.
Nie war er den Wrtern negativ aufgefallen.
Den Groteil des Tages verbrachte er damit, in seiner Zelle zu liegen, nachdenklich vor sich hin zu starren und ab und an den einen oder anderen von Weisheit zeugenden Gedanken zu uern.
Eines Nachts hatte mich seine Stimme aus dem Schlaf gerissen. Hey Puschkin! Puschkin! Hallo!, hatte er so lange geflstert, bis ich wach war.
Was ist?, murmelte ich schlaftrunken und drehte den Kopf in seine Richtung.
Er sah mich besorgt an; in seine Stirn gruben sich tiefe Falten. Weit du, warum ich niemals frei sein will? Nein, warum nicht?, fragte ich zurck.
Weil sie dich nach zwanzig Schritten aufhngen Weil sie einen nach zwanzig Schritten aufhngen? Was soll das heien?.
Ich verstand den Sinn in Lao-Tses rtselhafter uerung nicht und richtete mich auf.
Sie bieten dir irgendwann die Freiheit an.
Wenn du das Angebot annimmst, holen sie dich mit ein paar anderen Dummkpfen in einem gepanzerten Fahrzeug ab und bringen dich weg.
Du denkst, die Sache ist gelaufen, und freust dich schon.
In Wirklichkeit haben sie dich aber reingelegt, zischte er in der Dunkelheit und erweckte damit mein Interesse.
Ich hatte die Wrter schon so manches Mal dabei beobachten knnen, wie sie einige Zellen aufgesperrt, und die Gefangenen sich auf den Gngen formieren und dann abmarschieren lassen.
Mglicherweise wusste Lao-Tse ber den Grund dieses Vorgehens bescheid.
Sie bringen dich auf irgendeinen abgelegenen Parkplatz auf der anderen Seite der Stadt, schmeien dich dann einfach aus der Karre, raus auf den nassen Asphalt, verstehst du? Und dann? Nach fnf Schritten bemerkst du erstmal, dass du berhaupt atmest.. nach zehn Schritten brechen deine Arme, knack einfach so.. der Schmerz macht dich fast wahnsinnig! Es brechen meine Arme? Wieso denn das?.
Lao-Tse lachte leise und sagte: Jeder von uns bekommt mehr Last mit auf den Weg gegeben als er berhaupt tragen kann; du setzt mhsam einen Fu vor den anderen; elf, zwlf, dreizehn, vierzehn.. und beim fnfzehnten Schritt fallen sie wie die Bestien ber dich her, schlagen dich nieder und trampeln auf dir herum, als wrst du der allerletzte Dreck.. den sechzehnten Schritt bemerkst du gar nicht; beim siebzehnten packt dich die Panik; achtzehn, der Versuch der Flucht nach vorne; neunzehn, du suchst nach der Richtung - , Lao-Tse brach den Satz ab und schwieg.
Bitte sprich weiter!, die Ungeduld raubte mir fast den Verstand.
Du legst dich mchtig auf die Schnauze.. nach zwanzig Schritten hngen sie dich auf.. Mehr wollte mir Lao-Tse damals nicht mitteilen.
Es war eine Nacht gewesen wie die heutige.
Der Himmel war von Pech durchdrngt, es wurde kalt, ich knabberte nervs an meinen Fingerngeln, und ich ahnte instinktiv, dass bald etwas Schlimmes passieren wrde.
Autor tekstu: nieznany
Data dodania: 2011-02-22

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