Ulrich Roski: Volksz

(spoken prose)

''Das Bedrfnis nach Information wird ja in unserem Zeitalter einer immer schneller voranschreitenden
Kommunikationstechnik von Tag zu Tag grer. Und dennoch leben wir Bundesbrger ja in einer
relativen Unwissenheit. Denn im Grunde genommen wissen wir ja nicht einmal, wie viele wir eigentlich
sind. Und als wir vor einiger Zeit mal so kurz und locker durchgezhlt werden sollten, da gab es ja
wieder einige Querkpfe, die das zu verhindern wussten. Aber nun steht ein neuer Termin fest und so
wird es nicht ausbleiben, dass es eines Tages bei Ihnen an der Wohnungstr lutet und drauen steht
jemand, der behauptet, Sie seien das Volk und er wolle Sie zhlen.
Da helfen jetzt keine dummen Ausreden mehr, wie: Sie knnen nicht reinkommen, es ist frisch
gebohnert. Oder: Ich hab heute keine Zeit, mein Goldfisch heiratet. Sie mssen sich schon etwas
Besseres einfallen lassen. Wenn Sie eine scharfe dnische Dogge besitzen, kommt jetzt deren groe
Stunde. Sollten Sie keine scharfe dnische Dogge besitzen, tun Sie so, als htten Sie eine, sagen Sie
Moment mal, ich muss blo mal den Hund anbinden. Darauf rufen Sie so laut Sie knnen Blbl,
marsch ins Krbchen! Das ist nmlich das verabredete Zeichen fr die sechs illegal eingewanderten
Trken, die Sie zweifellos in Ihrer Wohnung beherbergen, sich schleunigst auf den Hngeboden zu
verziehen.
Danach lassen Sie den angeblichen Zhler ein und verblffen ihn mit schonungsloser Gelassenheit.
Beantworten Sie alle seine Fragen mit Ja, besonders die nach Name, Adresse und Geburtsdatum.
Das macht einen guten Eindruck und besttigt Ihre rundum positive Einstellung zur freiheitlich
demokratischen Grundordnung. Sie brauchen auch keine Angst vor Schwierigkeiten, denn es gibt
keine Frage, die lautet: Beherbergen Sie sechs illegal eingewanderten Trken auf Ihrem
Hngeboden? Auf so dmliche Fragen kommt nicht einmal unser Innenminister.
Whrenddessen beginnen nun die Trken auf dem Hngeboden zu rumoren, weil Sie aus Versehen
die Katze und den Papagei eingesperrt haben. Erfinden Sie einen Vorwand, sich aus dem Zimmer zu
entfernen, lassen Sie die Katze heraus, die Trken aber oben. Ebenso den Papagei. Den knnen Sie
spter noch als Joker verwenden. Wenn es wieder laut wird, holen Sie ihn einfach heraus und
schieben Sie alle Schuld auf ihn - ein Tier kann sich nicht wehren! Nun spielen Sie weiterhin den
Biedermann beziehungsweise die Biederfrau. Pochen Sie erbarmungslos auf Ihre politische
Neutralitt und Unbescholtenheit. Geben Sie dafr eventuell frei erfundene sexuelle Abartigkeiten zu.
Das schafft Vertrauen, erregt die Neugier des Zhlers und lenkt von den weiterhin rumorenden Trken
auf dem Hngeboden ab.
Sollte sich die Sache lnger hinziehen, knnen Sie mit dem Papagei allerdings nicht mehr rechnen,
denn der ist unterdessen ohnmchtig geworden. Wenn der Lrm also unertrglich wird, kommen Sie
dem Zhler zuvor, fordern Sie ihn auf, sich doch mal die Wohnung anzusehen, bevor er selbst sein
Interesse daran bekundet. Dann knnen Sie es nmlich so einrichten, dass er sich direkt unter dem
Hngeboden befindet, bevor dieser endgltig abbricht. Da Sie die herabstrzenden Trken ohnehin
nicht auffangen knnen, versuchen Sie wenigstens den Papagei zu retten. Bitten Sie Ihre trkischen
Freunde, die mit Sicherheit schon Schlimmeres berstanden haben, vorbergehend zu anderen
Bekannten zu ziehen und vor allem den nunmehr nutzlos herumliegenden Zhler einzusammeln und
mitzunehmen.
Behalten Sie aber dessen Tasche mit den Fragebgen, damit Sie spter ein Beweismittel haben.
Erklren Sie bei einer eventuellen Befragung, er habe die Tasche bei seinem fluchtartigem Abgang
zurckgelassen, nachdem er zuvor mit einem halben Dutzend verdchtig dreinblickender Auslnder
gewaltsam bei Ihnen eingedrungen sei, um dann spter in sinnloser Zerstrungswut den Hngeboden
herunterzureien. Zeigen Sie als weitere Beweismittel die verstrte Katze und den immer noch schwer
atmenden Papagei.
Sollte man Ihren Worten dennoch keinen Glauben schenken, versuchen Sie, sich irgendwie aus der
Affre zu ziehen. Probieren Sie es mit Drohungen, Verwnschungen oder Geldgeschenken.
Schwren Sie aber um Gottes Willen keinen Meineid, sonst whlt man Sie eventuell noch zum
Innenminister und Sie haben die nchste Volkszhlung am Hals!