Reinhard Mey: Kurti

Kurti steht vor meiner Tr in dieser Regennacht,
In Trnen aufgelst, hat seinen Hausstand mitgebracht.
Unter einem Arm hat er die Isomatte und
Unter dem andern seinen nassen, alten Zottelhund.
Und Kurti sagt: "Keule, weit du wa..?"
Ich sag: "Na klar, da sie dich wiedermal verlassen hat!"
Er sagt: "Genau, und das Leben hat jetzt keinen Sinn
Mehr!", ich sag: "Komm erstmal rein, das kriegn wir schon wieder hin!"
"Nein", sagt Kurti, "diesmal nicht, diesmal ist es viel schlimmer,
Diesmal ist es vorbei, diesmal ist es fr immer!"
Und pltzlich halt ich diesen Riesenkerl im Arm
Und er schluchzt in meinen Nacken, da Gott erbarm.

"Komm in die Kche!", sag ich, "setz dich, erzhl erstmal"
"Ach", sagt er, "sie ist weg und jetzt ist alles ganz egal!"
Ich wei, wenn ihm ein Wort so auf der Seele brennt,
Da er sich nicht so ohne weitres davon trennt,
Doch dann brichts aus ihm heraus, dann sprudelt er los,
Schttet sein Herz aus, der nasse Hund will auf den Scho
Und auf dem Fuboden rings um die zwei entstehn
Aus Regentropfen und aus Trnen kleine schmutzige Seen.
Und Kurti sagt: "Du, entschuldige Keule,
Wenn ich dir hier die ganze Kche vollheule!"
Und Kurti grummelt leise "Bitte, sei nicht bs,
Ich glaub, mein Hund ist etwas undicht, oder ich sach mal: pors"

"Kopf hoch, Kurti!" sag ich, "du bist nicht allein,
Irgendwann sind wir doch alle mal hilflos und ganz klein,
Sind wir alle so verzweifelt, wie damals als Kind,
Als wir eines Nachts von zuhause abgehauen sind.
Aber ich bin ja bei dir, na los, komm schon, Mann,
Ich hab ein breites Kreuz - sieht man mir nur nicht so an -
Lad deinen Kummer ab, lad ihn mir einfach auf!"
"Ach ja" schluchzt er, "Du bist ja immer so verdammt gut drauf!
Du hast gut lachen, Manno du hast gut reden,
Gewinnst doch jeden Blumentopf, Mann, wirklich jeden.
So kann nur einer reden, dem alles gelingt,
Der sich fr den Nabel der Welt hlt, nur weil er trllert und singt!"

"Ey Kurti, langsam, pa auf, Alter, krass,
Ich wein mir manche Nacht mein Kopfkissen na.
Manchmal knick ich ein und manchmal bin ich ganz still
Wegen ner alten Wunde, die nicht heilen will.
Manchmal bin ich zu Tod betrbt und wei nicht warum".
Kurti weint nicht mehr und betrachtet mich stumm.
Und ich frag mich, ob er denn nun wirklich nicht wei,
Da ich manchmal vor Angst in die Tischkante bei.
Ein merkwrdges Paar, wie wir beide da sitzen,
Ich seh ein Lcheln in seinen Augen aufblitzen,
Er wischt die Trnen ab und schneuzt sich glatt
In das Handtuch, mit dem er grad seinen Hund abgetrocknet hat.

"Tja, Kurti, keiner hat nur Schuld und keiner hat nur Recht,
Keiner ist immer ganz gut und keiner immer ganz schlecht!"
Als ich das sag, merk ich, verzieht sich mein Gesicht
Zu der Grimasse, die man macht, eh man in Trnen ausbricht.
Und Kurti sagt: "Also Keule, mach dir nichts draus,
Na ja, ich geh dann wohl mal besser wieder nach Haus."
Und ich find keinen Schlaf, ich liege grbelnd wach,
Ich denk die ganze Nacht ber die arme Socke nach,
Ich kenn seinen Schmerz, ich spr seinen Kummer.
Da schrillt das Telefon in meinen ersten Schlummer,
Und Kurti fragt: Keule bist dus?", ich sag: "Ja!"
Und Kurti sagt: Danke, Alter, sie ist wieder... da!"